
DAS
UNGEGENSTÄNDLICHE LICHTBILD
- GESTERN
UND HEUTE
Das
»abstrakte Bild« - diese folgenreiche Erfindung moderner Kunst
-
- hat
seine Ursprünge in der Malerei. Danach versuchte man, »Abstrak-
- tionen«
auch in anderen Medien zu realisieren. So in der Grafik, der
- Bildhauerei
und [ab 1916] der Fotografie.
Mit
Gründung der Künstlergruppe »Abstraction-Création«
1931 in Paris
- wurden
zwei Wege zum »abstrakten Bild« anerkannt: Zum einen die
- Reduktion
des Naturvorbilds auf elementare Formen [»Abstraction«];
- zum
anderen das Komponieren elementarer Formkonstellationen ohne
- Naturvorbild
[»Création«].
Wegen
ihrer Bindung an real existierende Motive scheint Fotografie auf
- die
erste Form von »Abstraktion« beschränkt, das »Abstrahieren«
von
- der
Natur. Durch kameralose Lichtbilder kann sie aber auch völlig »un-
- gegenständliche«
Resultate erzielen.
Das
»abstrakte« Lichtbild ist dennoch eine marginale Gattung der
Foto-
- grafie
geblieben; wenngleich eine mit lückenloser Kontinuität.
Künstler,
die sich der Gattung heute zuwenden, sehen sich also einer
- gewichtigen
Tradition von mittlerweile 85 Jahren Dauer gegenüber. Der
- etwas
Neues hinzuzufügen, verlangt daher nicht weniger Erfindungs-
- reichtum
als andere Gattungen von Bildkunst.
Gibt
es überhaupt noch »Positionen« abstrahierenden Fotografierens,
- die
nicht besetzt sind; oder Strategien des ungegenständlichen Lich-
- tbilds,
die nicht ausgereizt wurden? Mit den Künstlern, die ich im Fol-
- genden
vor- stellen will, meine ich: sicher, ja.
Um
»zeitgenössische« Positionen, handelt es bei den »Abstraktionen«
- dieser
Künstler in doppeltem Sinn: alle Arbeiten, die ich zeige, sind erst
- kürz-
lich entstanden, alle in den 1990er Jahren und die meisten in de-
- ren
zwei- ter Hälfte. Zudem stammen sie von Künstlern, die ihre Karri-
- eren
nach 1960 begannen - also schon in der Epoche künstlerischer
- Post-Moderne,
die bis heute anhält.
Signum
dieser Epoche ist der stilistische Pluralismus, das gleichwertige
- Nebeneinander
heterogener Bildvorstellungen auf dem Markt zeitgenös-
- sischer
Kunst, ja im Angebot einzelner Galerien und sogar im Werk ein-
- zelner
Künstler.
Die
Frontstellung der Klassischen Moderne zwischen »Figurativen«
und
- »Abstrakten«
ist eingeebnet, ihre Fehden sind begraben. Philosophische
- oder
gar weltanschauliche Positionen werden heute mit der Entschei-
- dung
für die ein oder andere Stilrichtung nicht mehr bezogen.
Das
Formvokabular der Moderne zwischen »Abstraktion« und »Realis-
- mus«
ist zu einem Fundus geworden, aus dem sich der post-modern
- gewordene
Künstler ohne Skupel auch derart bedienen darf, daß er
- seine
ästhetischen Prämissen von Werkblock zu Werkblock ändert
oder
- zeitlich
parallel meh-rere Werkserien unterschiedlicher Stilrichtung vor-
- antreibt.
Es kann
deshalb gut sein, daß sie vom ein oder anderen Künstler, den
- ich
vorstelle, schon ganz andersartige Werke gesehen haben oder se-
- hen
wer- den als die, die ich Ihnen zeige.
Auch
der Frage, was das überhaupt oder noch mit Fotografie zu tun hat,
- die
sich bei etlichen Arbeiten, die ich zeige, einstellen könnte, möchte
ich
- in
genereller Weise vorgreifen. Aus fotografischer Perspektive gehören
- praktisch
alle Künstler, die ich vor-stelle, ins Lager der »Experimentellen«,
- derer,
die sich unorthodoxe Verfah- ren bedienen, Materialien und Ap-
- parate
bisweilen kalkuliert regelwiedrig benutzen.
Aber
was bedeutet es heute schon, wenn man sie als Grenzgänger des
- Fotografischen
bezeichnet. Denn so gut wie alle Künstler, die heute mit
- der
Kamera arbeiten, verstehen sich als Grenzgänger des Fotografischen
-
- sogar
wenn sie »dokumentarisch« arbeiten.
Die
breite Akzeptanz des Kunststatus für bestimmte Formen der Fotogra-
- fie
im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts hat nämlich eine paradoxe
Aus-
- wirkung
gehabt.
Der
Bezugsrahmen, in dem Werke auf Fotobasis heute im Kunstbetrieb
- betrachtet
und beurteilt werden, heißt nicht länger »Fotogeschichte«,
son-
- dern
»Kunstgeschichte«.
Rein
foto-ästhetische Beurteilungskriterien haben ausgedient; was auch
- heißt,
daß technische wie ikonografische Parallelen zu Vor-Bildern in der
- Fotogeschichte
jetzt weithin unererwähnt, weil unbemerkt bleiben.
Die
Kamera ist als zeitgemäßer Ersatz von Pinsel und Pigment akzeptiert.
- Im
Bewußtsein der Kunstöffentlichkeit figurieren Foto-Werke nicht
länger
- als
»Grafik« oder »Druckgrafik«. Sie konkurrieren jetzt
mit anderen For-
- men
des Tafelbilds, denen sie sich auch in Format und Preisniveau an-
- genähert
haben.
Deshalb
hört man Künstler, der sich der Kamera bedienen, immer wieder
- insistieren,
kein Fotograf zu sein. Bildhauer vielleicht, oder Maler, aber
- bitte
nicht Fotograf oder Fotokünstler, möchten sie genannt werden.
Daher
überrascht es, wie bescheiden der Stellenwert abstrakter Fotogra-
- fie
im Kunstbetrieb heute ist - verglichen etwa mit dem »dokumentarischer«
- Foto-Kunst.
Denn während ihrer ganzen Geschichte stand abstrakte Foto-
- grafie
der jeweils zeitgenössischen Kunst weit näher als der jeweils
zeit-
- genössischen
Fotografie.
Warum
»abstrakte« Fotografie bei Kuratoren, Kritikern und Sammlern
so
- wenig
Aufmerksamkeit genießt, ist deshalb schwer erklärlich.
Vielleicht
hängt es damit zusammen, daß auch die abstrakte Kunst heute
- an
den internationalen Kunstbörsen nicht besonders stark notiert - von
- Stars
des Kunstmarkts wie Gerhard Richter und Sigmar Polke einmal ab-
- gesehen.
Offenbar
bilden abstrakte Malerei und abstrakte Fotografie kommunizie-
- rende
Röhren in der Hinsicht, daß Produktion und Wertschätzung
abstrak-
- ter
Fotografie steigen, wenn abstrakte Malerei floriert. Und umgekehrt, daß
- abstrakte
Fotografie nur am Rande wahrgenommen wird, solange die Ma-
- lerei
einer Zeit von anderen als abstrakten Tendenzen geprägt wird.
In
der Post-Moderne hat es bislang nur einen [relativ kurzen] Moment ge-
- geben,
in dem die Öffentlichkeit empfänglich war für abstrakte
Fotografie.
- Nämlich
gegen Ende der 1980er Jahre, als auf dem amerikanischen Kunst-
- markt
auch ein Revival abstrakter Malerei forciert wurde, das die Karri-
- eren
von Künstlern wie Ross Bleckner, Peter Halley, Philipp Taaffe
- etablierte.
Damals
gab es diverse Ausstellungen abstrakter Fotografie in New Yor-
- ker
Galerien. Und - etwas zeitversetzt -im deutschprachigen Bereich
- zwei
Museumsausstellungen, die ich erwähnen möchte. Die eine hieß
- »Anwesenheit
bei Abwesenheit« und war kuratiert von Walter Binder [1],
- die
andere »Vom Verschwinden der Dinge aus der Fotografie» und
hat-
- te
Monika Faber zur Kuratorin [2].
[1]
Siehe Katalog:Anwesenheit bei Abwesenheit - Fotogramme
- und
die Kunst des 20. Jahrhunderts. Schweizerische Stiftung für
- Photo-graphie,
Kunsthaus Zürich, 1990.
[2]
Siehe Katalog: Vom Verschwinden der Dinge aus der Foto-
- grafie.
Österreichisches Fotoarchiv im Museum Museum Moder-
- ner
Kunst Wien, 1992.